~~DISCUSSION~~

12.08.2010 22:16:44

Ich will mein Internet behalten.



Eigentlich weiß ich nicht so genau, wie ich den Artikel schreiben soll. Ich würde gerne vorgeben, die Dinge die gerade passieren richtig bewerten und entsprechende Prognosen ableiten zu können. Aber das kann ich nicht. Ich kann nur sagen, dass mir einiges an dem was gerade so um das Internet herum passiert, nicht gefällt. Und dass einiges darauf hindeutet, dass es in 2-3 Jahren dieses freie Medium so nicht mehr geben wird. Der "freie" Bereich wird eingeschränkt und das passt mir nicht.

An den aktuellen Diskussionen im, um und über das Internet und dessen Weiterentwicklung wird eines sehr deutlich: Es gibt nicht eine Zukunft des Netzes. Es wird eine Vielzahl von Nutzungszenarien und damit Geschäftsmodellen geben. Es gibt aber Entscheidungen die derzeit diskutiert und getroffen werden (oder werden sollten), die die zukünftigen Rahmenbedingungen beschreiben. Entscheidungen auf politischer, aber auch auf persönlicher Ebene. Die Frage der Netzneutralität ist dabei eine sehr wichtige, auf die der Einzelne jedoch nur wenig Einfluss hat. Aber die Art und Weise wie wir das Netz benutzen und zukünftig benutzen wollen und werden, liegt im Gestaltungsspielraum jedes einzelnen.

Dass es eine Menge Fehleinschätzungen hinsichtlich der aktuellen Nutzung und Relevanz des Internet gibt, stellen nicht zuletzt aktuelle Studien zur Internetnutzung von Jugendlichen heraus. Allerdings gibt es auch viel unreflektierte Nutzung bzw. Gewöhnung an zur Zeit zugängliche Möglichkeiten im Netz, die letztlich in zukünftige Geschäftsmodelle münden sollen (speziell im Bereich des mobilen Internet), sodass man diese im klassischen Sinne als Marketing, als das Wecken von Bedürfnissen bewerten muss. Kurioser Weise bezahlen viele Kunden schon heute die Werbung, die ihnen ihre Wünsche von morgen schmackhaft macht (und lassen sich gleichzeitig Einschränkungen gefallen, die technisch nicht, wirtschaftlich jedoch sehr gut zu erklären sind (Unterbinden der Skype-Nutzung, peer-to-peer-Einschränkungen).

Sämtliche mobilen Dienste werden zukünftig als gesonderte Daten behandelt und gesondert abgerechnet werden. Daher sollte man sich überlegen, ob bspw. die Verlagerung auf Streamingdienste zum Musikhören mittelfristig eine wirkliche Alternative zur lokalen (eigenen) Musiksammlung ist. Oder weiter formuilert: Man sollte sich im Klaren darüber sein, dass Daten die man lokal zur Verfügung hat, nicht mehr übertragen und nicht mehr(fach) bezahlt werden müssen. Ist logisch, wird aber zukünftig Geld sparen. Und Verfügbarkeit sichern. Früher hieß das glaube ich: "Was man hat, das hat man." Und in digitalen Zeiten muss das nicht mal egoistisch verstanden werden.

Dramatischer aber sehe ich diese Entwicklung in Bezug auf die Inhalte. Im Prinzip wird es im Netz zukünftig lediglich Angebote in der Qualität geben, wie sie jetzt im Fernsehen und Radio zu erleben sind. Plus die Kommunikationsmöglichkeiten, die aber je nach Internet- und Hard- und Softwareanbieter gemäß deren Firmenphilosophie beschränkt sein werden.

Die Anfänge sind ja bereits mehr als deutlich zu sehen, etwa in den "dieses Video ist in ihrem Land wegen blablabla..."-Meldungen bei Youtube oder bei dem unsäglichen und nicht entschuldbaren, kulturellen Desaster um die zeitliche Verfügbarkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkinhalte im Netz. Letzterers, Inhalte, die unsere Gesellschaft im Interesse aller (im Konsens eines allgemein sinnvollen Auftrages) produziert, die daher und zu Recht von allen bezahlt wurden und werden, fallen dem Lobbyismus von Verlagen und Medienkonzernen zum Opfer. Die Politik opfert die vierte Macht im Staate (ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk das in den letzten Jahren wirklich ausreichend war, ließe sich auch diskutieren, dazu müssten aber die produzierten Inhalte als Referenz verfügbar bleiben), den Verdienstinteressen der Unterhaltungsindustrie und - vermutlich - ihren eigenen.

Denn wer zieht noch einen Vorteil daraus, dass nach einem Jahr nicht mehr nachvollziehbar ist, was er oder sie gesagt hat? Die "Verantwortlichen" für das, was nächstes Jahr passiert. Nicht dass man in Deutschland Angst darum haben müsste aufgrund von falschen, politischen Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Aber sicher ist da vermutlich einfach sicher. Oder warum sonst sollte unser Innenminister auf die Idee kommen ein Vergessen des Netzes zu fordern. Damit Hinz und Kunz bei Ihrer nächsten Ein-Euro-Job-Bewerbung nicht von ihrem Fallmanager die Partyexzesse der letzten zehn Jahre zusammen mit einer Leistungskürzung unter die Nase gerieben bekommen? Halte ich eher für die unwahrscheinlichere Variante.

Damit wäre ich dann auch bei der nächsten aktuellen Unsitte: Die Listen. Die zum richtigen Verhalten, zu dem wie und was und warum und bla. Ähm, was haben wir denn in den letzten Jahren im Netz gemacht? Nicht kommuniziert? Was soll dieses perverse Fordern von Verhaltensnormen von Indiviuen, die sich ohnehin rund um die Uhr verhalten? Was ist denn so schlimm im Netz, was es in der anderen Welt (es gibt ja offensichtlich immer noch die Annahme das Internet wäre nicht Teil der einen/realen Welt, so wie die Dritte Welt nicht die unsere ist) nicht wäre?

Dass ich jemanden bei Facebook einfach ignoriere, weil ich ihn nicht kenne oder er mir auf den Sack geht? Das ich Viagra-Spam einfach lösche? Dass ich F9 bei Chatroulette drücke, wenn mir ein Gesicht oder Geschlecht nicht gefällt? Dass ich für etwas bezahle, was ich nicht bekomme?

Ok, stimmt. Sowas gibt es da draußen im Lalaland nicht. Ich hätte zwei einfache Regeln für beides on- und offline, aber auf die kommt auch jeder selbst, der fünf Minuten in Ruhe darüber nachdenkt.

Ich will garnicht in Abrede stellen, dass - berücksichtigt man aktuelle Untersuchungen - es einen prinzipiellen Unterschied zwischen den beiden Volksgruppen der das-Netz-Betrachtenden und der das-Netz-Begreifenden gibt. Dass diese Gruppen sich in Ihren Erwartungen, Erlebnissen und Freiräumewünschen unterscheiden. Dass es Aufgabe des Staates ist hier regulierend und strukturierend zu handeln. Aber wo passiert das?

Wieso ist es nicht längst politischer Konsens, dass es eine Neutralität in der Übertragung und der Verfügbarkeit von Daten geben muss? Zumal man sowas wirklich bundesweit regeln könnte, ganz im Gegensatz zu Etiketten oder der Pseudo-Kontolle von Inhalten. Wieso ist es nicht längst politischer Konsens, dass man endlich anfangen müsste, den Menschen von klein auf den reflektierten Umgang mit dieser Welt (und den Medien in ihr) beizubringen? Wieso ist es nicht politischen Konsenz, dass Wissen nur denen schadet, die keinen Zugang dazu haben? (Oh, vielleicht ist das ja politischer Konsens. In dem Fall geben ich lieber die Politik auf, als das Internet.) Wieso ist es nicht politischer Konsens, dass die größte Chance, die wir haben die ist, möglichst vielen möglichst viele Informationen zur Verfügung zustellen in dem Vertrauen, dass daraus ein Mehrwert entsteht, der sich nicht zuletzt auf das Bruttoinlandsprodukt positiv auswirken wird? Wieso, verdammt, tun immer noch alle so, als gehe es darum den Fließbandarbeiter zu mäßten, der (und im zehntel- bis hunderstel Verhältnis zu ihm die Aufseher/Abteilungsleiter/Ingenieure) innerhalb einer geschützen und kalkulierbaren Lebenswelt ein beschauliches Leben führen soll und will.

Es gäbe noch mehr Aspekte zu streifen. Die Annonymität, die Kreativität, die Zugänglichmachung der durch Steuermittel erfoschten Daten, die Transparenz innerhalb staatlicher Organe und Entscheidungsprozesse.

Ich habe keine (oder nur punktuell) Ideen oder gar Antworten auf diese Fragen und bin mir sicher, dass ich viele wichtige Fragen nicht mal angesprochen habe. Was mir aber vor allem, vor den Ideen und den Antworten am meisten fehlt, ist der Mut zum Risiko. Wir reagieren mit über Jahrzehnte (oder sind es über Jahrtausende?) gelernten Abwehrreflexen, mit der Angst vor Umverteilung der Privilegien und Pfründe und den panischen Scheingefechten, nur um uns nicht eingestehen zu müssen, dass wir nicht wissen was gerade los ist und wie wir damit umgehen sollten. Wir sind trotz allem technischen Schnick-Schnack, trotz Knigge, trotz Schule, trotz Darwin und der Aufklärung nur die Steinzeitprimaten, die in der Hierarchie das ihnen zustenden Stück vom Mamut abhaben wollen.

Ich will mein Internet behalten!