~~DISCUSSION~~

08.05.2010 14:43:56

Ich schreibe eigentlich nicht mehr gern über so Internet-Gesellschafts-Meta-Zeug,

aber (und der aufmerksame Lesen wird diese "Aber-Erwartung" sicherlich nach der Überschrift schon in sich tragen) - aber, vielleicht ist es ja nicht nur "Meta", was mir dazu einfällt.



Wozu? Hmm, ich versuch mal den Bogen zu schlagen. Seit dem Vortrag von Peter Kruse auf der re:publika, in der er ganz grundlegend zwischen Digital-Residents (aktiv mitgestaltende, eher freiheitsliebende Netznutzer) und Digital-Visitors ("Be"-nutzende, eher sicherheitsliebende Nutzer) unterscheidet, interpretiere ich vieles von dem, was ich über die "Zukunft des Internet" (und damit der Gesellschaft/en) lese, hinsichtlich dieser Unterscheidung.

Da kommt mir bspw. diese Übersicht über die "Evolution" (Zufall, Selektion, Chaos, Eigendynamik und so) der Privatssphäre auf Facebook unter. Ich nutze Faceook nicht (ob Facebook mich nutzt weiß ich nicht). Mir ist das zu zentral, zuviel Monopol, zu wenig Selbstbestimmt. Dass Facebook ein Unternehmen ist, zählt für mich dabei nicht, denn auch mein Provider hier ist ein Unternehmen, genauso wie der ISP, den ich nutze. Die wollen/müssen/sollen alle Geld verdienen.

Gleichzeitig glaube ich (und da nehme ich einfachmal die Nutzerzahlen von Facebook, die sich derzeit zwischen 8 und 9 Millionen in Deutschland bewegen sollen (Christoph Kappes in Trackback, Fritz, Min. 28.45) als Referenz), dass es sehr, sehr viele Leute gibt, denen genau die Möglichkeiten auf Facebook das geben, was sie im Internet machen wollen bzw. was sie sich vorstellen, dass das Netz ihnen bieten sollte.

Diese Unterschiede in der Herangehens- und Nutzungsweise (vielleicht sogar letztlich in der Denkweise) ist kein Phänomen des Netzes. Es sind grundlegend menschliche Wesenszüge, die sich hier abbilden, quasi ein Spiegel der Gesellschaft. Seit Beginn des Einzuges des Netzes in das tägliche Leben, gibt es die AOL-Nutzer (die soll es ja teilweise noch heute geben, munkelt man), die in einem vorkonfigurierten Setting agieren und die Nerds, die stunden- , tage- und wochenlang an individuellen Nutzungsmöglichkeiten basteln.

Mittlerweile hat die Zahl der Nerds zugenommen, ebenso wie die Qualität und der Komfort der Individualisierbarkeit der Netznutzung, was dazu führt, dass mehr Menschen "ihr Ding" im Internet machen, sich die Dienste zusammensuchen, die sie dafür benötigen oder zusammenfinden um diese zu entwickeln.

Mir fällt bei der Gegenüberstellung von Konservativ vs. Innovativ immer wieder dieses Schaubild einer psychologischen Theorie ein (die ich schon mehrfach versucht habe ausfindig zu machen, immer erfolglos), jedenfalls Beschreibt sie zwei grundsätzliche Impulse innerhalb eines Individuums anhand von zwei gegenläufigen Wellenlinien. Der eine Impuls steht dabei für den Drang Neues zu entdecken, hinaus zu gehen, Veränderung zu provozieren, der andere möchte das Bestehende erhalten, sucht Sicherheit und will da bleiben wo er ist. Gemäß dieser Theorie hat jeder beide Impulse in sich, sie sind jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt und (und das ist wohl das entscheidende) sie verändern sich immer mal. Daher ist das Wellenbild enttscheiden für das Verständnis. Mal ist der eine, mal der andere Impuls der dominante, aber (gemäß der Theorie) verändert sich dies Verhältnis immer wieder im Laufe des Lebens, sodass man nie zu dem Punkt gelangt, an dem man "gesattelt" ist.

Überträgt man dies nun auf die Menschen(TM), so gibt es jene, deren Grundausrichtung eher von Konservativität, von Wahrung des Bestehenden etc. geprägt ist (dies ohne Wertung bitte) und die anderen, die eher auf der "Suche nach Abentuer und Herausforderung" sind (bitte ebenfalls ohne Wertung verstehen). Dementsprechend gibt es Bedarfe auf beiden Seiten und diese werden (wie sie ja auch in der Offlinewelt politisch, marktwirtschaftlich und sozial bedient werden) auch im Netz bedient werden. Unter anderem glaube ich daher nicht, dass (wie Kappes vermutet) das Wachstum von Facebook so weiter gehen wird wie bisher. Zum einen bedienen sie die Menschen nicht genug, die auf Sicherheit und Kontinuität aus sind (geschwige denn die Transparentz- und Freiehitsverfechter) und zum anderen schöpfen sie zur Zeit ganz prinzipiell zunächst die Menschen ab, die den Dienst ausprobieren, was noch nichts über seine Beständigkeit aussagt und Prognosen über die zukünftige Entwicklung schlichtweg unmöglich macht.

Da ich nach wie vor davon ausgehe, dass im nächsten Schritt (der wird noch ein paar Jahre dauern und nicht von heute auf morgen vor der Tür stehen - keine Angst) sich die rein grundgebundene, soziale Ordnung (Staaten) zergliedern und/oder auflösen (vllt. ist Griechenland schon der Anfang) wird und in eine instituionsgebundene Ordnung (evtl. soziale Netzwerke, Großunternehmen, Logistikunternehmen, Energieversorger, Religionen) ändern wird, wäre es in der Logik der Gegenüberstellung von erhaltend vs. verändernd, dass es für beide Seiten Angebote geben wird. Vielleicht wird zukünftig ja der Strom von WEB.DE kommen oder der Post oder BP (nun wohl nicht mehr).

Die BP-Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass sich die Spielregeln etwas ändern. Transparenz wird eine wichtige Sache werden, je mehr die Menschen lernen Transparenz zu nutzen. Als logischer Reflex aller bestenden Großssysteme (Politik, Bildungssystem in Deutschland, Wirtschaftsstruktur) wird zwar zur Zeit fleißig versucht, dies aufzuhalten - nein wohl eher nur noch hinauszuzögern. Ich glaube nicht, es wirklich noch jemanden gibt der dafür bezahlt wird sich über das Morgen Gedanken zu machen und annimmt, die Transparentisierung sein noch aufzuhalten (zumindest wäre er/sie das Geld nicht wert). So sind etwa die Verschleppung der überfälligen Reform des Bildungssystems oder das Hick-Hack um den Atomaus-ein-um-weiter-dochnicht-stieg oder diese FDP-Hotelspenden-hupsi-Nummer für mich Abwehrmechanismen eines Organismus, der reflexartig Gelerntes einsetzt um auf Neues zu reagieren. Verständlich, aber letztlich unreflektiert und deshab zum Scheitern verurteilt.

Ein weiteres Beispiel. Ich war unlängst auf dem Konzert einer Band, die ich "über das Internet" kennengelernt habe. Ich habe mich mit echten Leuten über (ihre) echte Musik und den echten Verbreitungsweg, den sie gewählt haben unterhalten, mit echter Sprache und echter (soweit das möglich war - Rauschen im Kanal und so) Verständigung. Es ist immer wieder putzig, wie einem Neuen Medium Fähigkeiten unterstellt werden, die ein Medium defacto garnicht haben kann, bspw. böse oder gut sein, verlässlich oder heuchlerisch. Noch heute gelten Faxe als rechtsverbindliche Dokumente, obwohl es seit über zwanzig Jahren kein Problem darstellt, eine Grafik (ggf. mit dazukopierter Unterschrift als weitere Grafik) an ein Faxgerät zu senden. Aber jemanden zu treffen, den man über das Netz kennengelernt hat, hat nach wie vor in weiten Kreisen einen merkwürdig, belächelten Beigeschmackt (übrigens auch bei mir).

Ok, nun mag es etwas anderes sein, Musik über das Netz zu suchen oder eine Person kennenzulernen, aber das ist eben bei jedem Medium so. Es gibt kein Medium, dass nicht beschränkt ist. Selbst das Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist ja hinsichtlich seiner Bewertung nur eine Interpretation in unserem Kopf. Natürlich mit einer Fülle an Informationen (Mimik, Gestik, Sprache, Kleidung, Konstistenz der Erscheinung), die sich schwer in anderen Medien reproduzieren lässt. Das Netz ist ja gerade dabei, fleißig dem nachzueifern und möglichst viele Informationen über möglichst jeden zugänglich zu machen, auch wenn ich es für unsinnig halte, das Medium an dieser Stelle zu personalisieren. Ob Generationen nach uns irgendwann von klein auf so mit dem Techniken des Netztes vertraut aufwachsen, dass (um jetzt mal bei dem reduzierten Beispiel zu bleiben) ein Facebookprofil einen ähnlich verbindlichen Eindruck von jemandem erzeugt wie ein Treffen in der "Echtwelt", weiß ich nicht. Ich halte es jedoch nicht für unmöglich.

Fazit? Naja, vielleicht so: Es ist nicht die Frage, ob die Zukunft des Netzes offen vs. geschlossen, transparent vs. undurchsichtig, frei vs. proprietär oder konservativ vs. progressiv ist. Das Netz als eigenständigen "Ort", als Parallelwelt oder nur "etwas anderes" zu sehen sollte überholt sein. Weiter wird sich der Mensch nicht ändern. Er wird sich auch zukünftig zwischen den Extremen Starre und Dynamik darstellen und es ist unwahrscheinlich, dass sich an der Verteilung dieser Extreme grundlegen etwas ändert. In Kruses Untersuchung wird sehr deutlich dass wir es hier mit einer Pattsituation zu tun haben, Fünfzig-Fünfzig zwischen Digital-Residents und Digital-Visitors (Es wäre interessant die Studie in einem Jahr zu wiederholen und zu schauen, ob sich an der Gesamtverteilung und der individuellen Ausrichtuig etwas ändert). Und auch wenn ich mir wünschen würde, dass bspw. politisch endlich auf die Entwicklung von mündigen Bürgern (Partizipation, (Medien-)Kompetenz) hingewirkt würde, so ist es fraglich, ob sich dieses Verhältnis überhaupt ändern lässt.

Es wäre ein leichtes, hier auf eine ausreichend große Komplexität der insgesamt betrachteten Materie hinzuweisen und davon die Unvorhersagbarkeit abzuleiten. Und wirkliche Prognosen sind wohl wirklich schwer. Vielleicht kann man das Beschriebene aber auch soweit abstrahieren: Manchmal will man, dass alles so bleibt wie es ist und manchmal will man etwas neues Erleben. Für den zweiten Fall wird die Vielfältigkeit der Möglichkeiten weiter wachsen und mit ihr die Notwendigkeit der eigenständigen Medienkompetenzverbesserung. Die strukturelle Rahmenbedinung die dies ermöglicht ist die Transparenz und der Zugang zu ihr. Beide "Lager" werden versuchen dies ihren Wünschen gemäß zu gestalten und beide Lager haben das (Menschen-)Recht dazu.