~~DISCUSSION~~

16.10.2011 20:23:05

Von Fischen und Mustern im Gehirn

Zeichnung vom Fisch

Es ist eine Krux. Eine Endlosschleife, wie ein Möbiusband. Aber gemeint ist dennoch auch eine dieser Theorien, die in so vielen Fällen passend erscheint und (was bei Theorien vielleicht noch wichtiger ist) die bei der Betrachtung von Bekanntem neue Blickwinkel eröffnet und somit Weiterdenken ermöglicht. Es geht um Muster. Genauer gesagt geht es um die Unterstellung, dass unser Gehirn genau dazu entwickelt ist Muster (bzw. Strukturen) zu detektieren.

Man sagt, dass in einem Gewässer (Fluss, See, Meer vermutlich noch krasser) ca. 80 bis 90 Prozent des Fischbestandes sich in nur 10 bis 20 Prozent der Fläche aufhalten. Je nach Tiefe und abhängig von Fließ- oder Stillgewässer ergeben sich da wohl Unschärfen, aber als Grundannahme ist das schon o.k. Diese Häufung von Fischen in bestimmten Bereichen des Gewässer, findet sich immer dort, wo "Besonderheiten" auftreten. Die Struktur ändert sich beispielweise von einer weiten, ebenen Fläche zu einer hügeligen, kantigen oder die Strömunssituation ändert sich von einer gemächlichen zu einer schnell strudelnden oder die Wassertemperatur ist aufgrund von Quellen oder Einströmungen in einem Bereich höher/niedriger als im Rest des Gewässers. Jeder, der ernsthafter angelt, wird dies bestätigen können.

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte schlicht physikalisch sein: Strukturbrüche führen zu geänderten Versorgungssituationen (Nahrung, Sauerstoff, Unterschlupf) und daher kommt es zu einer Häufung von Fischen in diesen Bereichen. Es könnte aber auch sein, dass bereits das Gehirn von Fischen darauf trainiert ist, Muster und Strukturen als "lohnenswert" zu bewerten. Entweder, weil auch jeder Fisch selbst lernt, dass es sich überproportional "lohnt" an eben jenen Stellen zu verweilen oder weil sich bereits genetisch die funktionelle Ausrichtung des Gehrins so verfestigt hat, dass Fische nicht anders können, als Muster geil zu finden.

Aber eigentlich soll es ja um unser Gehirn gehen. Jedes das noch Fernsehen kennt, in dem nicht 24/7 gesendet wird, wird sich an den "Schneesturm" erinnern, der wahlweise auch mal als Ameisenhaufen interpretiert wurde. Gemeint ist das Wirr-Warr von kleinen weißen und schwarzen Bildpunkten die unorganisiert und rasant wechselnd über den Monitor wuseln. Wenn man sich dieses Chaos (ich weiß nicht, ob der technische Hintergrund den Begriff "Chaos" wiklicht rechtfertigt, aber ich denken das ist hier gerade vernachlässigbar) länger betrachtet, wird man unweigerlich damit beginnen, das was man da sieht zu interpretieren, einzuordnen. Da läuft dann schon mal der eine schwarze Punkt für eine kleine Weile in eine Richtung, um dann noch einen Linkshaken zu schlagen. Oder ein Bereich des Bildschirms scheint für einen Moment auffällig fast nur weiß zu sein, während drum herum das Gewusel wie gehabt weiter geht. Gleichzeitig blinken vier schwarze Punkte immer wieder in einer nahezu quadratischen Form auf.

Diese Beobachtung zeigt eins. Irgendwie versuchen wir "die Dinge" (TM) einzuordnen. Irgendwie entdecken wir Zusammenhänge, ganz automatisch. Keines wird sich, eine Form aussuchen die es im Schwarz-Weiß-Gewusel bewusst sucht und findet und dennoch findet es sie. Was also, wenn unser Gehirn das ganz automatisch macht?

Anderes Beispiel. Es gab mal dieses Wahrnehmungspychologisches Experiment (und jedesmal, wenn ich es wiederfinden will, finde ich es nicht), in dem einer Gruppe von Probanden suggeriert wurde, dass die Zahl der orangefarbenen Autos deutlich zunimmt. (Das Experient ist schon älter und ein Anstieg orangener Autos wurde ausgeschlossen). Dennoch bestätigten die Probanden nach einigen Wochen, dass sie tatsächlich mehr Autos in der auffälligen Farbe gesehen hätten. Man kann diese Phönomen auch leicht nachprüfen, in dem man sich irgendetwas beliebig seltens (bspw. ein Wort oder einen Ausdruck) herauspickt und in den nächsten Woche darauf achtet, ob das gewählte häufiger Wahrgenommen wird. Na, wie oft hört jedes demnächst "Unterschlupf"?


(Jedes, dass denkt, sein Gehirn könne ihm nichts vormachen erinnere sich bitte an dieses Bild. Wohl gemerkt keine Animation oder Gif. Ein statisches Bild. Quelle: HU-Berlin)

Bei mir ist es im übrgen in den letzten Wochen so, dass ich die Idee "Musterbildung als Hauptfunktion des Gehirns" im Kopf habe (ja ich höre zuviel @holgi) und daher häufig über dieses Thema stolpere beziehungsweise mir viele Sachverhalte, die mir begegnen versuche in dieser Sichtweise zu interpretieren. Dabei ist das meiste davon bewusst, hin und wieder bemerke ich aber, dass diese "Interpretation" schon auf dem Weg von der Wahrnehmung/Aufnahme der Information ins Bewusstsein geschehen ist. Ein Problem bei der Betrachtung des Gehrins mit einem solchen und die eingangs beschriebene Schleife, die man unweigerlich irgendwann zieht.

Dennoch, ich habe kürzlich diese beiden Hörbuchschnipsel von Sigmund Freud gehört. Speziell bei der Traumdeutungssequenz "Märchenstoffe in Träumen" erschien mir plötzlich die Interpretation dessen was Freud schildert, dessen, was in den Gehirnen und der Wahrnehmung der Patienten vorgeht und letztlich mein darauf "Anspringen" so signifikannt für die Theorie der vorbewusstlichen Musterbildung im Gehirn, dass es wie ein Aha-Effekt war. Zum einen haben die Patienten ihre Erlebnisse in der Realwelt im Traum an bereits verfestigte Muster (häufig erzählte Märchen) angedockt und sie sozusagen codiert darin abgespeichert. Zum zweiten hat Freud sein Muster der Psyche angewendet, um diese Transfairleistung der Patientengehirne zu entschlüsseln (was in diesem Fall auch nur eine Interpretation ist) und schließlich habe ich (mit der Idee der Musterbildung im Hinterkopf) diese Inputs so zusammengefügt, dass sie in das Muster der Musterbildungstheorie hineinpassen. FUCK YEAH!

Ergänzen muss ich hier noch, dass in meinem Verständnis das Gehirn die autonome Musterbildung als Funktin/Prozess von seinem Aufbau und seiner Funktionsweise so vorgegeben hat, also genetisch die Anlage dazu angelegt ist. Die Muster selbst, sich jedoch im Laufe des Lebens individuell herausbilden und mit der Häufigeit (oder der Intensität) des Auftretens verfestigen. Auch wenn ich eine konkrete Vorveranlagung von Mustern evolutionär für "unklug" erachte, da sie zu unflexibel wären, könnte ich mir vorstellen, dass gewisse Grundroutinen eventuell doch vererbt werden. Da das Gehirn eben kein statischer Apparat ist, könnten diese ja ebenfalls innerhalb eines Lebens "korrigiert" werden.

Was das nun bedeutet? Nun, zunächst ist die Erkenntnis, dass das eigene Gehrin einen an der Nase herumführen kann eine elementare Erkenntnis. Weiter aber kann man mit der Annahme der Musterbildungszwangsläufigkeit des Gehirns viele Dinge im Alltag entspannter sehen. Beispielsweise Diskussionen. Oder die Einschätzung von Menschen, die häufig eine sehr einseitig geprägte ist (Was man mit dem Halo-Effekt erklären kann) und die eines in Kombination mit der Musterbildung schlicht als soziale "Ordnungsmatrix" betrachten kann. ("Das ist doch der, der immer aus der Reihe tanzt" "die, die nie den Mund aufmacht", etc). Man sollte zwar nicht die "Schuld" (*hach*, Freud :) auf die quasiautomatische Musterbildungsfunktion des Gehirns schieben, aber intrapersonell kann man sich damit auseinandersetzen, indem man zum Beispiel Einstellungen gegenüber allem Möglichen (Vorurteile, Klischés) hinterfragt. Das zunächst vielleicht biografisch. Wo kommen meine Muster her? Welche persönlichen Situationen assoziiere ich mit dem jeweiligen Vorurteil? Was hat sich in meinem Bewusstsein/Gehirn/meinen Gedanken so verfestig, dass ich quasi reflexhaft in der Situation zu dieser Reaktion komme? Wie gehe ich heute mit Eindrücken ähnlicher Art um? Weiter gefasst, kann es eventuell sogar gelingen gezielt Muster an- oder umzutrainieren, indem man Gegenerfahrungen schafft, die die bestehenden "Musterschubladen" ergänzen, erweitern oder gar (sofern dies erstrebenswert ist) ersetzten.

Damit das alles nicht zu einer Pawlowschen Konditionierung mutiert, ist zu bedenken, dass ich hier über den Vorhandlungsbereich schreibe. D.h. das Einordnen von Eindrücken in Muster führt zunächst "nur" zu einer Ausgangslage auf die dann eine Handlung (in die auch weitere Aspekte der Bewertung und Handlungsausrichtung einfließen) erfolgen kann. Allerdings können bestehenden Muster insofern entscheidenden Einfluss auf das Handeln ausüben, da sie als Muster meist keine einmalige Erfahrung und Interpretation darstellen, sondern bereits mehrfach gleich interpretierte Erfahrungen. Dies senkt die Motivation und Notwendigkeit einer ausführlicheren Reflektion und Neuberwertung. Die Musterbildung im Gehirn dient nämlich nicht nur der Strukturierung sondern auch der Effektivierung.

In diesem Sinne: Denk mal drüber nach.