~~DISCUSSION~~

06.04.2012 13:08:04

Kulturkampf oder Sinnfrage - über Generationen unterschiedlicher Flexibilität (und Urheberrecht)

Wenn man sich den (leider x-ten) "offenen Brief an die Contentindustrie" von Anatol Stefanowitsch bei den Scilogs durchliest, fällt eines auf: Unter zweitens skizziert er überdeutlich zwei grundverschiedene Gesellschaftskonstrukte, die in meiner Wahrnehmung immer wieder die Ausgangslage für das Aufeinanderprallen in den Diskussionen um Urheberrechte, Verwertungsrechte, Leistungsschutzrechte, etc. sind. Auf der einen Seite steht das historisch arbeitsteilige Modell, innerhalb dessen jede Person ihre spezifische, gesellschaftliche "Rolle" und "Funktion" aus- und erfüllt und dem gegenüber ein flexibl(er)es Konstrukt, in dem jedes Individuum viele Rollen und Funktionen bespielen und -dienen kann und muss.


Ja, ja, ja, ja - so trennschaf ist das nicht. Früher gab es auch nicht nur die eine (arbeits-)gesellschaftliche Funktion, da gab es neben der Fließbandarbeit auch noch den Fußballverein und auch in einem noch stärker ausfunktionalisierten Gesellschaftsystem wie beispielweise der DDR, gab es die Menschen, die ihrem inneren Drang nach Ausdruck in kreativen Formen Luft verschafften, aber wenn man das ein wenig abstrahiert, kommt man meiner Meinung nach schon auf ein deutlich gestieges Maß an Vielfältigkeit der Möglichkeiten und Notwendigkeiten in "modernen" Gesellschaften. Das bedeutet dann allerdings auch, dass es noch mindestens einer Generation bedarf, um dieses "Verständnis" (das eigentlich nichts mit Verstehen, vielmehr mit Erfahren zu tun haben dürfte) der Untragbarkeit des aktuellen Content-illegal-Fuckup-Bullshit (oder so ähnlich) wie Tim Pritlove es im letzten Not-Safe-For-Work nannte (ca. 02:02:x) loszuwerden. Ob dabei eine Generation, wie Tim meint, sieben oder wie Holger Klein darlegt zwanzig Jahre dauert, wird sich letztlich zeigen. Klar sein müsste jedenalls, dass kein offener Brief, keine Enquett-Kommission, kein Dialog eine Einigung in dieser grundsätzlich konträren Angelegenheit im Sinne eines vernunftgesteuerten Erkenntnisprozesses bringen wird.

Ich stimme Stefanowitsch zu, wenn er schreibt, die Contentindustrie werde sich dem anpassen müssen. Das tut sie ja bereits im Rahmen ihrer Veränderungsmöglichkeiten. Allerdings sind diese gering, da sie - wie allen anderen Positionen auch - direkt an die Personen und deren Erlebniswelt angedockt sind, die sie verkörpern. Daher ist es nicht verwunderlich, wie sich GEMA, GEZ, selbst der öffentlich rechtliche Rundfunk verhalten, betrachtet man die EntscheidungsträgerInnen in diesen Institutionen. Und ich will das nicht als Generations-bashing verstanden wissen. Diese Menschen verhalten sich ihren Lebenserfahrungen gemäß. Diese Menschen haben aber auch nie auf dem Schulhof Kassetten getauscht, oder CDs gebrannt und verstehen daher diese Metaphern nicht. Im Zweifelsfall mussten sie nie etwas tauschen, weil es ihnen geleistet wurde. Eine Kultur des Tauschens (vielleicht auch des Teilens) haben sie nicht gelernt, weil es für sie schlicht nicht notwendig war.

Ich denke daher, dass es nichts nützt, argumentativ gegen ihre Positioen, Meinungen und offenen Briefe vorzugehen, denn eine Einsicht wird hier nicht stattfinden. Lebenslanges Lernen ist als Hypothese nur bedingt tauglich, noch nach dem dreißigsten Geburtstag grundlegende Persönlichkeitsänderungen herbeizuführen. Dann schon eher auf Altersmilde holfe. Die einzige Möglichkeit die ich sehe ist, realitätskonform mit diesen beiden Polen umzugehen. Umso eher wird rechtliche Realität, was bereits in weiten Teilen gesellschaftliche ist. Pluralität innerhalt einer Gesellschaft bedeutet nämlich nicht nur, dass man vom Individuum viel erwarten können muss, es bedeutet eben auch, dass umgekehrt, das Individuum viel von der Gesellschaft erwarten können darf. Dass Bullshit möglichst rasch aufgelöst wird, weil er der Flexibilität im Weg steht.

Wenn man mehr Zeit und Energie beispielsweise auf die eigene Erwerbsarbeit aufwenden muss, weil man nicht in einem Betrieb seine regulierte Schicht fährt, sondern zwei oder drei Jobs ausfüllt, dann ist es nur legitim zu verlangen, dass das Konsumieren von Kultur sich dieser Flexibilität anpasst. Dass ich nicht in den Laden gehen muss, um mir Musik zu beschaffen, die ich ohne Restriktionen hören kann, wann, wo und wie ich es will. Und weiter ist es soger legitim zu verlangen, dass ich die Möglichkeit habe den Pluralismus der Gesellschaft für mich in Anspruch zu nehmen. Das heist, dass ich vielfältig Dinge ausprobieren kann, ohne mich gleich an einen delinquenten Rand der Gesellschaft zu manövrieren. Wenn mein Telefon mittlerweile meine Arbeitstermine zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität auch in meiner Freizeit synchronisiert und gelichzeitig Videos aufnehmen kann, dann ist es (m)eine legitime Forderung an die Gesellschaft, dass ich diese Videos auch mit der Musik unterlegen kann, die an anderer Stellen in dieser Gesellschaft geschaffen wurde und dieses "Werk" dann auch mit meiner Peer-Group synchronisieren darf.

Vielleicht spielt in dieser Debatte immer auch ein wenig Neid mit. Garnicht mal so sehr der finanzielle Neid. Die paar Spacken, denen Geld alles bedeutet hält eine Gesellschaft locker aus. Nein, der Neid, dass es Menschen ungleich mir, "besser" im Sinne von "einfacher" haben. Immerhin stellt sich mir doch zwangsläufig die Frage: "Musste ich mich mein halbes Leben lang so abmühen, für etwas das sich heute mit einem Klick beschaffen lässt?" Und daraus destilliert sich zwangsläufig die Frage nach dem eigenen Sinn, dem Selbst, dem, was man ist.

Die übrigen Punkte die Stefanowitsch anspricht, wurden bereits mehrfach dargelegt, sind zutreffend und logisch, aber eben scheinbar ungeeignet, um eine "Lösung" herbeizuführen. Wenn die Annahme mit dem Neid zutreffend sein sollte, böte sich der Versuch an, denen, bei denen man diesen Neid unterstellt (vornehmlich Dein Nachbar und nicht gleich der Chef von Time-Warner), zu zeigen, dass sie immer noch die Möglichkeit haben, sich ab sofort mit der Vereinfachung und der Verpluralisierung ihres Lebens anzufreunden. Damit ist keine Antwort auf die Frage gegeben, ob diese innerpersonelle Auseinandersetzung nicht doch zu mehr Frust führt, als sie Nutzen bringt, aber - und da bin ich wieder bei Stefanowitsch - umkehren lässt sich dieser Prozess nicht mehr. Man kann nur nocht entscheiden, ob man seine Ideen aus seinem Kopf heraus lässt oder nicht. Lässt man sie jedoch in die Welt, so sind die Gedanken frei. So neu ist diese Erkenntnis nicht, fällt mir gerade auf.