~~DISCUSSION~~

29.06.2012 19:59:33

Die Beschneidung des Geduldsfadens.

Leute, Leute, Leute. Ich finde das langsam nicht mehr spaßig oder 'vertretbar' oder 'tolerierbar'. Ich bemerke mehr und mehr, dass ich eine unglaubliche Wut auf alles bekomme, was irgendwie versucht sich aus einer Religiösität heraus zu argumentieren. Egal um was es geht. Ich komme immer zu dem Schluss: Das ist kein Argument. Dabei ist dieser Beschneidungsdebattenartikel nur ein (relativ harmloses) Beispiel, aber vielleicht auch gerade deshalb so absurd.

Religiöse Riten und Bräuche sind keine Grundlage um über irgend etwas zu diskutieren oder einer Position, Meinung oder Ansicht auch nur ein Milligramm mehr an Gewicht zu verleihen. Menschen dürfen glauben was sie wollen, an wen sie wollen und mit welchen Zeremonien sie wollen. Da gibt es ja ganz hübsche, wenn ich mal an die Marienaltare aus meiner (katholisch geprägten) Jugend denke (trotzdem trat keine nachhaltige Glaubensprägung bei mir ein). Es gibt auch irgendwie hässliche oder abscheulich wirkende Formen, wie diese Geißelmärsche, bei denen sich Menschen mit Peitschen und anderem Schlagweg ihre Rücken oder sonstwas blutig schlagen.

Das darf von mir aus jedes machen wie es möchte. Darüber kann ich mich auch mit einem unterhalten. Aber wenn es darum geht, dass Religion anfängt einem anderen eine Vorschrift zu machen, ein Prozedere vorzugeben, nur damit eines sich dazugehörig fühlen kann/darf, dann kann mich Religion mal. Ich meine, was ist das bitteschön für eine naive, kleinkindliche Kackscheiße?! Das ist wie damals, als man in den Auspuff vom Direks irgendwas reinstopfen sollte, um nicht mehr von den Oberstuflern drangsaliert zu werden. Oder noch früher, als man sich in den Garten der garstigen Dorfhexe schleichen und irgendwas anstellen musste, um in die 'Bande' aufgenommen zu werden. Das ist Kindergarten-, ach was, das ist Säuglingsstationsniveau.

Ja, ja, ich weiß schon, dass sich Gruppen über Symbole und Rituale definieren. Etablierte und Außenseiter und so. Aber ehrlich, dass ist mir im religiösen Kontext scheißegal. Es ist mir vermutlich in den allermeisten Kontexten scheißegal. Es gibt Prinzipien, die mir tausendmal wichtiger sind, als dieses kindische wenn-du-nicht-für-uns-bist-bist-du-gegen-uns-Spiel. Unter anderem: Wo es geht, möglichst nicht in Dualismen zu denken, zu handeln und zu argumentieren. Aber wir waren ja bei der Religion.

Im Deutschlandfunk kommt ja morgendlich bei "Neues aus Religion und Gesellschaft" schon oft ganz schön wirklich kauziges Zeugs, aber neulich ging es im Nachmittagsprogramm um die "Nöte" von muslimischen Jugendlichen, die aufgrund von einer nicht vorliegenden, religiösen (oder sonstwie findbaren) Identität sich dem radkalen Slafismus zuwenden würden, obwohl sie kosmopolitisch und weltoffener seien als ihre Elterngeneration. WFT? (Vielleicht waren die Verflechtungen auch ein wenig anders, aber im Kern war es eine derart krude Argumentation.)

Was soll der Scheiß? Wer treibt hier wen wohin? Wer lässt sich treiben? Ich komme da nicht mit. Ich kann sowas nicht nachvollziehen und erst recht nicht als Erklärung für (religiöse) Radikalisierung gelten lassen. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Die Welt ist nicht mehr in liberal Aufgeklärte und uninformiert Gläubige aufgeteilt. Es glaubt auch keiner mehr, dass wir auf einer Scheibe leben. In den meisten Ländern und Gesellschaften sind die Ideen von Freiheit und Selbstbestimmung durchaus bekannt. Glücklicherweise nutzen sich solche Idee ja nicht ab, wenn man sie teilt und weitergibt. Also soll mir keines sagen, es könne nicht für sich entscheiden wie es dazu steht. Auch wenn durchaus natürlich äußere Bedingungen in vielen Ländern ein Ausleben dieser Asichten unterbindet.

Aber hier bei uns will ich sowas nicht mehr haben. Nicht mehr hören. Nicht mehr für Beschneidung, nicht mehr für Radikalisierung, nicht mehr für Homöopathie, nicht mehr für die Unterscheidung zwischen Homo- und Heteroehen. Nnicht mehr für allen Firlefanz und Mumpitz, der die freiheitliche und selbstbestimmte Lebensweisen anderer angreift. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass in der Konsequenz Kinder auch keine Ohrringe mehr gestochen bekommen dürfen. Wenn dem so ist, dann o.k. Wenn es eine humanistische Begründung für die eine oder andere Variante gibt - bitteschön. Aber reliöse Handlungsmaximen werde ich für nichts mehr gelten lassen, wenn sie über das hinaus gehen, was eines für sich selbst als gut und richtig empfindet.

Sicher, da gibt es Grenzfälle. Ab wann und was kann ein Kind, ein Heranwachsendes für sich entscheiden? Wo endet die Verantwortung der Eltern? Und dennoch kann man auch hier die Maxime anwenden, dass jegliche Entscheidung areligiös und aesotherisch nachvollziehbar/argumentierbar sein sollte, besser muss. Es gibt keinen (plausiblen, logischen) Grund, dass das nicht unsere Maxime sein sollte. Und auch wenn wir uns noch davor scheuen, die Diskussion zu führen, ob wir überhaupt einen freien Willen haben: Solange dies der major consens narative ist, solange wir uns unterstellen einen Verstand zu besitzen, ethisch und moralisch entscheiden und handeln zu können, so lange müssen wir denselben benutzen, um uns nicht gegenseitig lächerlich zu machen.

Jenes höhere Wesen, das einige von uns verehren (ab Min. 6:20) mag dir in der Angst und in der Not zur Seite stehen. Es mag dir warm oder ordnend oder sinnstiftend vorkommen. Das ist es auch. Für dich. Aber diese Ordnung ist für andere eben an anderes gebunden. Es ist vielleicht das Schwerste im Leben, als Elternteil sein Kind von den eigenen Werten und Vorstellungen davondriften oder -rennen zu sehen. Das gibt aber nicht das Recht dazu, es an diesem Weg zu hindern. Weder aus logischen noch aus religiösen Gründen. Es ist ein Irrglaube, dass man einen individuellen 'Plan', den man für sein Leben gefunden hat, jemand anderem vermitteln kann. Je eher man sich selbst eingesteht, dass jedes diese Art des Umgangs mit dem Sein für sich selbst sortieren muss, um so eher dürfen die anderen - besonders die Nächsten - damit anfangen.

Edit 2012-06-29: Viele Fehler verbessert und einige Sachen ergänzt. Musste beim ersten Mal schnell gehen.