~~DISCUSSION~~
Zwischenstand: Ich komme mehr und mehr zu dem Schluss, dass das Verheimlichen der Dinge, die wir über uns wissen (neudeutsch: Daten) nicht zu mehr Autonomie im gegenseitigen Umgang beiträgt. Vielmehr führt das Pochen und Berufen auf die Rechte der Persönlichkeit, der Betriebsgeheimnisse oder benötigten Bevollmächtigungen zu einem extrem verzerrten Bild der ... Welt.
Ich weiß nicht, ob ich damit einen Ansatz von Post-Privacy verfolge, weil ich nicht weiß, was genau damit gemeint ist. Es ist jedenfalls nicht die schlichte Einsicht, dass sich ohnehin nichts über mich und dich verheimlichen oder verbergen lässt (Obwohl das Reinhard Wobst auf den letzten Datenspuren so schön und nachvollziehbar verdeutlicht hat). Ich sehe das Erlöschen der Hoheit über die persönlichen Informationen also nicht als einen zwangsläufig und resignierend zur Kenntnis zu nehmenden Prozess, dem man sich als Einzelnes nicht wiedersetzen kann. Ich sehe eine Chance darin, die Dinge nicht zu verstecken, sondern sie beim Namen zu nennen.
Natürlich kann es angenehm sein, wenn weder Hinz noch Kunz und schon garnicht die unliebsamen Nachbarn wissen, dass ich nur deshalb so oft zuhause bin, weil ich in psychiatrischer Behandlung bin und nur eingeschränkt arbeitstauglich. Es hat durchaus Vorteile, wenn ein Unternehmen seine "Kronjuwelen" vor den Augen und Interessen der Konkurrenz verbergen kann. Das, was hinter den Türen eines akzeptierend mit Nazis arbeitenden Jugendprojektes passiert aus den Augen der Öffentlichkeit heraus zu halten, macht die Sache gleich viel einfacher. Ebenso wie problematische, öffentliche Dokumente schilcht als Verschlussache zu deklarieren und sich daher nicht mit Nachfragen auseinandersetzen oder sich gar als Verantwortlicher rechtfertigen zu müssen.
Aber mal ehrlich: Worum geht es denn dabei eigentlich? Sind nicht alle diese Verstecke, die Prozedere und Hürden, die langen Prüfungen, die Formulare, Einverständniserklärungen, die Schutzmaßnamen und die Pseudoschutzmaßnamen nicht nur der Versuch einen Eindruck der Welt aufrecht zu erhalten, den es so nicht gibt? Wie schlimm wäre es denn, wenn in der öffentlichen und privaten Wahrnehmung alle Therapiebedarfe erkennbar würden? Wie groß wäre der volkswirtschaftliche Schaden, wenn eine Innovation gleich allen anderen zur Verfügung stehen würde? Womit müssten wir uns auseinadersetzten, wenn wir die großen und kleinen, alltäglichen Rassismen und Sexsismen und Terrorismen und das ganze Menschenverachtende sehen würden? Wie würden wir uns organisieren, wenn die öffentliche Hand keine Faust mit augestrecktem Zeigefinger, sondern einen von oben und unten betrachtbare Fläche wäre? Wieviele Schuppen würden den Menschen von den Augen fallen, wenn sie erkennen müssten, das Menschen Fehler machen und dies eingestehen?
Es ist ein Zwischenstand und ich bin mir sehr sicher, etwas Entscheidendes zu übersehen. Aber der Gedanke, dass hinter dem Meisten, das verschlossen, weggesperrt, bewahrt, geschützt wird, lediglich die Angst steckt, sich dafür rechtfertigen oder erklären zu müssen, daran erkennen zu müssen, dass man "anders" ist, der ist nun da. Und weiter die Bewertung, vieles davon ist schlicht Teil der Welt wie sie ist und eben kein Grund sich zu schämen, schlecht oder auch nur anders zu fühlen. Natürlich gibt es Stigmatisierungen und Benachteiligungen, die genau solchen "Abnormalitäten" erwachsen. Getuschel, Mobbing, Diskriminierung, etc. Aber das funktioniert eben auch, weil die Fülle und das Spektrum der Information darüber - die Daten - im stillen Kämmerlein deponiert werden. Weil wir diese Teile der Welt systhematisch ausklammern.
Vielleicht ist es nur der nächste, logische Schritt im globalen Normierungsprozess (der ja durch die Vernetzung und den Austausch der Welt im und durchs Internet begann), das eigene Spektrum an "Normalität" zu erweitern. All die Peilichkeiten, zu denen sich jeder mal hinreißen lässt, die schmerzhaften Unterschiede, die einen wirklich beeinträchtigen, die Sorgen und Ängste die immer schon Teil jeden bewussten Lebens waren und bestimmt sein werden, gemeinsam mit den Strategien, die man als Vorkehr gegen sie entwickelt. Das alles integriert sich beständig in die Wahrnehmung des "Normalen". Und ich habe die Hoffnung, diese Fülle an Normalität wird größer, als jedes Gehrin es zu sortieren vermag.
Ich werde jetzt keine schonungslose Offenlegung aller Informationen/Daten fordern. Im Gegenteil: Ich bin mir gerade sehr sicher, dass ein Lockern, ein Entkrampfen und mehr und mehr ein Öffnen und Vorzeigen des datenschutzrechtlich bisher Verborgenen, zu einer entspannteren und angstfreieren Gesellschaft führen kann, ohne eine allumfassende, schonungslose Aufdeckung. Einfach dadurch, dass es sich langsam einspielt. Keine Ausrede mehr. Einfach sagen: "Ich habe keine Zeit/Lust." Einfach sagen: "Ich weiß es gerade auch nicht." Einfach sagen: "Ich empfinde das eben so." Einfach sagen: "Bei mir ist das anders." Einfach sagen: "Mir fällt das schwer." Einfach sagen: "Ich finde das Scheiße." Einfach sagen: "Entschuldigung."
Natürlich wird es diejenigen geben, die offengelegte Schwächen und Tabus ausnutzen werden. Aber das können andere auch immer nur dann, wenn sie genügend Leute finden, die sich mit ihnen echauffieren. Wenn anders herum aber die Zahl der Menschen steigt, die einer gerade populären oder für einige nützlichen Empörung mit einem gelassenen "Na und?" begegnen, stärken sie damit einerseits die, auf denen gerade herumgedroschen wird und entwickeln gleichzeitig eine Kultur des Vertrauens, der Einladung, der Ermutigung und der Inspiration" (Bissl länger, aber sehr sehenswert!).