~~DISCUSSION~~
Zuerst wollte ich den Text mit "Das es sowas noch gibt." betiteln aber: Ach, huch, den kenn ich doch. Jetzt hätte ich fast geschrieben, dass es bei der faz noch Autoren gibt, die über eine Sprachreflexionsfähigkeit verfügen, die an Victor Klemperers LTI-Tagebuch erinnnern. Allerdings habe ich dann nochmal nach dem Namen des Autors geschaut - es war (halt) Steffan Niggemeier.
Der letzte Absatz hatte mich ohnehin schon stutzig gemacht, angesichts des Seitenhiebes auf den deutschen Journalismus, aber dennoch war ich gewillt (zumal ich weitgehend unkundig bin, was die deutsche Journalisten-Szene angeht) anzunehmen, dass so ein Text (und eine solche Denk- und Sichtweise dahinter) vielleicht doch noch festanstllungswürdig sind. O.k. das ist bei Niggemeier eh nochmal ein anderes Thema, aber da ich schon hin und wieder Texte etwa bei dradio oder SpOn oder eben auch Welt, faz, etc. lese und nur höchst selten über deren Qualität erstaunt bin (also eigentlich oft eher erschrocken), unterstelle ich einfach mal eine überwiegende Unfähigkeit des Schreibens solcher. Deshalb garnicht lange rumgenörgelt über Deppen.
Was ich so erstaunlich finde an Niggemeiers Text, ist die stringente Analyse und Ableitung, der Manifestierung des politischen IST-Zustandes in der Sprache (und weiter) im Denken der Kanzlerin. Es ist genau anders herum, als das, was Klemperer im Dritten Reich beschrieben hat: Die Sprache wird nicht zur Konstruktion gewollter Denkmuster eingesetzt, im Gegenteil äußert sich die Ahnungs-, Hilfs- und Hoffnungslosigkeit von Frau Merkel in der offensichtlichen Inhaltsleere ihrer Sätze.
Dass im politischen Betrieb Wahrheit neben vielen anderen nur ein funktionales Tool ist, mit dem versucht wird Ziele zu erreichen, sollte jedem klar sein (auch wenn es (natürlich) systemisch so nirgends vermittelt wird - Selbststabilisierung und so. Da der politischen Führung für die aktuelle Situation allerdings offensichtlich wirklich kein passendes, semantisches Werkzeug zur Verfügung steht, sie aber in einem Äußerungskontinuum gefangen ist und immer der Gefahr hinterherläuft, mit einem Plapperstoppvakuum, wirklich mal für (unvorhersehbares und unkontrollierbares) Aufsehen zu sorgen, füllen sich die Inhaltichen "Freiräume" schlicht mit dem was ihnen bleibt: Keine Ahnung. Wer aber nie zu sagen gelernt hat, dass er/sie gerade auch nicht weiter weiß, dafür aber sein Gehirn darin trainiert, Sätze zu konstruieren, die inhaltsschwer klingen, produziert auch weiterhin inhaltschwer klingendes "ich weiß es doch auch nicht".
Daneben sehe ich die sich in den Phrasen darstellenden Hohlräume natürlich als weiteres Zeichen dafür, dass dieses Gesellschaftsystem in der aktuellen Form kurz vorm Ende ist. Aber das sehe ich ja nicht alleine so:
"Vor allem letztere korrespondiert dabei mit einer echten Sorge der Menschen: Ob Politik heute und morgen überhaupt noch die Möglichkeit hat, die Lebensverhältnisse entscheidend zu bestimmen."